Am 27.11.2012 entschied der XI. Zivilsenat des BGH in zwei Fällen (Aktenzeichen: XI ZR 384/11 und XI ZR 439/11) über Klagen von Anlegern, die ihre auf den Erwerb von Lehman-Zertifikaten ("Global Champion"-Zertifikate) gerichteten Willenserklärungen mehrere Jahre nach dem Erwerb unter Berufung auf die gesetzlichen Regeln über den Fernabsatz widerrufen hatten. |
| Die Global Champion-Zertifikate waren so konstruiert, daß etwaige Bonuszahlungen und auch die Rückzahlung der Zertifikate selbst abhängig waren von der Entwicklung drei verschiedener Aktienindizes (EURO STOXX 50, Standard & Poor's 500 und Nikkei 225) während verschiedener Beobachtungszeiträume. Durch die Insolvenz des Lehman-Konzerns wurden die Zertifikate weitgehend wertlos.
In beiden Fällen erfolgte der Erwerb der Zertifikate im Jahr 2007 zumindest teilweise aufgrund von Telefongesprächen und per E-Mail, wobei der genaue Umfang des Einsatzes dieser Fernkommunikationsmittel zwischen den Parteien streitig blieb. In den Jahren 2010/11 widerriefen die Bankkunden dann sämtliche im Zusammenhang mit dem Zertifikatserwerb abgegebenen Willenserklärungen gegenüber der beklagten Bank. Die auf Rückzahlung der Anlagebeträge gerichteten Klagen blieben in erster Instanz (LG Mönchengladbach und LG Mannheim) und auch in der Berufungsinstanz (OLG Düsseldorf und OLG Karlsruhe) erfolglos. Der BGH wies die von den Berufungsgerichten zugelassenen Revisionen der Anleger in beiden Verfahren zurück. Dabei ließ der XI. Zivilsenat das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrags dahinstehen. Denn nach seiner Auffassung stand einem erfolgreichen Widerruf jedenfalls der Ausschluß des Widerrufsrechts nach § 312 d Abs. 4 Nr. 6 BGB entgegen. Nach dieser gesetzlichen Regelung besteht ein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen nicht, falls diese Finanzdienstleistungen zum Gegenstand haben, deren Preis auf dem Finanzmarkt Schwankungen unterliegt, auf die der Finanzdienstleister keinen Einfluß hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können. Beispielhaft nennt das Gesetz hier Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, Investmentanteilen, Devisen, Derivaten oder Geldmarktpapieren. Der BGH betont, daß mit "Preis" im Sinne der genannten gesetzlichen Regelung nicht nur ein Börsen- oder Marktpreis gemeint ist, der für das Anlageprodukt selbst auf dem Finanzmarkt gezahlt wird. Vielmehr seien unter "Preis" im Sinne des § 312 d Abs. 4 Nr. 6 BGB auch die Parameter zu verstehen, von denen der Wert des Anlageprodukts abhängt. Ausgehend von dieser Prämisse stellt der BGH bei der Beurteilung der Global Champion-Zertifikate entscheidend darauf ab, dass deren "innerer Wert" mit Beginn der Beobachtungszeiträume von der Entwicklung der drei als Basiswerte fungierenden Aktienindizes abhänge. Die Schwankungen dieser Indizes seien von der beklagten Bank nicht beeinflußbar gewesen. Damit gelangt der XI. Zivilsenat zu dem von ihm für billig erachteten Ergebnis, der Anleger solle einen drohenden Verlust aufgrund zum Beispiel fallender Basiswerte nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Finanzdienstleister abwälzen können.
Unter Geltung der klaren gesetzlichen Bestimmung des § 312 d Abs. 4 Nr. 6 BGB kann dem BGH im Ergebnis und im Begründungsweg uneingeschränkt zugestimmt werden. Damit ist Anlegern künftig der Weg versperrt, von ihrer Bank erworbene, jetzt wertlose Lehman-Zertifikate unter Berufung auf ein nach Fernabsatzrecht bestehendes Widerrufsrecht an das verkaufende Kreditinstitut gegen Rückzahlung des vollen Anlagebetrags zurückzugeben. Hierauf wird sich die Praxis einzustellen haben. | |
| Zurück |
|